5 Kasım 2010 Cuma

Turkey Legal e-News November 2010

Zur Anwendungspraxis von Arbeitserlaubnissen in der Türkei

Eine Reportage mit Frau Rechtsanwältin Ulya Selçuk (Istanbul/ Türkei)

Quelle: Istanbulpost, Nr. 21, November 2010, www.istanbulpost.net

Vor kurzem hat das Ministerium für Arbeit und Soziales einige Änderungen bei der Praxis der Vergabe von Arbeitserlaubnissen eingeführt. Ausgehend von der neuen Lage haben wir mit Rechtsanwältin Ulya Selçuk gesprochen und um eine Bewertung gebeten.

Frau Rechtsanwältin Ulya Selçuk, könnten Sie uns bitte zunächst das Arbeitserlaubnisrecht der Türkei kurz vorstellen?


Die Bedingungen für die Beschäftigung von Ausländern in unserem Land werden mit dem Arbeitserlaubnisgesetz (Nummer 4817) und der dazugehörigen Verordnung geregelt. Abhängig von der Lage des Arbeitsmarktes, Entwicklungen im Arbeitsleben sowie beschäftigungsrelevante sektorale und konjunkturelle Veränderungen beachtend, kann einem Ausländer zunächst, begrenzt von der Frist dessen Aufenthaltserlaubnis, eine einjährige Arbeitserlaubnis in einem bestimmten Beruf für ein bestimmtes Unternehmen erteilt werden. Nach Ablauf des Jahrs kann für den gleichen Beruf und das gleiche Unternehmen eine Verlängerung von drei Jahren und danach im gleichen Beruf, jedoch bei einem beliebigen Arbeitgeber, eine Erlaubnis für sechs Jahre erteilt werden.

Wenn ein Ausländer für ein Unternehmen arbeiten will oder als Partner dieses Unternehmens tätig werden will, beantragt dieses in dessen Namen die Erlaubnis. Dies bedeutet, dass die beantragte Erlaubnis auch nur für dieses Unternehmen gilt. Will der Ausländer seine Tätigkeit verändern oder für ein anderes Unternehmen arbeiten, wird die Arbeitserlaubnis nichtig.

Das bisherige Antragsverfahren sieht vor, dass ein Ausländer in seinem Herkunftsland oder dem Land seines dauerhaften Aufenthaltes bei einer Vertretung der Türkischen Republik einen Antrag stellt und dann innerhalb von zehn Tagen die in der Verordnung aufgeführten Formulare und Dokumente dem Arbeitsministerium ausgehändigt werden. Jedoch gibt es die im Staatsanzeiger vom 31.07.2010 veröffentlichte und gleichzeitig in Kraft getretene Bestimmung, die folgendes festlegt: „Die im Rahmen des Gesetzes an das Ministerium gerichteten elektronisch eingereichten Anträge sowie die auf Papier in der Anlage zur Verordnung vorgesehenen Dokumente müssen mit Unterschrift binnen sechs Arbeitstagen entweder persönlich oder per Post dem Ministerium zugestellt werden.“ Offen bleibt dabei, ob gemäß dieser Bestimmung weiterhin ein Antrag bei den Auslandsvertretungen der Türkischen Republik gestellt wird. Während es bei diesem Punkt keine Klarheit gibt, trafen wir bei Gesprächen mit unseren Auslandsvertretungen auf recht unterschiedliche Praxis. Ich glaube darum, dass es am richtigsten ist, entsprechend der Antworten des Ministeriums für Arbeit und Soziales mögliche Mängel zu beheben.

Auch wenn mir die türkische Ausländerstatistik nicht unbedingt zuverlässig vorkommt und ich glaube, dass im Land weit mehr Ausländer leben, erscheint mir selbst angesichts der offiziellen Zahlen die Menge der erteilten Arbeitserlaubnisse gering. Woran liegt dies Ihrer Meinung nach?

Neben der Arbeitserlaubnis können Ausländer in der Türkei auch eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Sie wird auf der Grundlage von Heirat, Studium, Tourismus, Therapie oder sportlicher Aktivitäten erteilt.

Jedoch gibt es Daten des Türkischen Statistikinstituts zufolge in der Türkei 500.000 illegal Beschäftigte und diese Zahl beeinflusst in ernstzunehmender Weise die Arbeitslosenquote in der Türkei. Wegen Unternehmen, die Ausländer zunächst unregistriert beschäftigen und später einen Antrag stellen, prüft das Ministerium für Arbeit und Soziales diese Anträge sehr sorgfältig. Ich denke, dass die vom Ministerium am 2. August 2010 herausgegebenen „Kriterien für die Arbeitserlaubniserteilung an Ausländer“ auf dem Problem beruht, warum man einem ausländischen Beschäftigten die Erlaubnis erteilen sollte, eine Arbeit auszuführen, die ein einheimischer ausführen könnte.

Bei der Arbeitserlaubnis gibt es viele Beschwerden über die Bearbeitungszeit. Gibt es auf diesem Gebiet eine Entwicklung?

Mit dem Übergang der Zuständigkeit für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis vom Schatzamt an das Ministerium für Arbeit und Soziales war das Ziel verbunden, die Bearbeitungszeit zu verkürzen und mit dem Einsatz von e-government Verfahren wurde dies zu einem großen Teil erreicht. Im gesamten Schriftverkehr mit dem Ministerium erfolgt neben der offiziellen Zustellung auch wenn nötig per E-Mail. Bei der Beantragung der Aufenthaltserlaubnis bei der Polizeidirektion wird nun zunächst über die Website ein Termin eingeholt und dadurch das Schlangestehen vermieden. Dies ist vielleicht die positivste Veränderung der bereits angesprochenen Änderung vom 31. Juli 2010.

Von jetzt an kann jeder Antragsteller alle Stufen der Bearbeitung per Internet verfolgen. Natürlich muss der Antragsteller die im Ermessensspielraum des Ministeriums liegenden zusätzlichen Anforderungen erfüllen. Nach meiner Erfahrung wird ein sorgfältig und fehlerfrei vorbereiteter Antrag einschließlich der Phase bei der Polizeidirektion innerhalb von zwei Monaten entschieden.

Nun hat sich die Ausführungsverordnung zum Arbeitserlaubnisgesetz geändert. Was hat sich geändert und welche Neuerungen gibt es?

Die mit dem 2. August 2010 zur Anwendung gebrachten Kriterien zur Erteilung der Arbeitserlaubnis für Ausländer haben zumindest bei zwei Themen zu ernsten Diskussionen geführt. Das erste ist die Verpflichtung, dass in dem Betrieb, der den Antrag stellt, mindestens fünf türkische Bürger beschäftigt sein müssen. Handelt es sich bei dem Antragsteller um einen Partner des Unternehmens, müssen mindestens fünf türkische Bürger in der zweiten Hälfte der bewilligten Jahresfrist der Arbeitserlaubnis beschäftigt sein. Wird für mehr als einen Ausländer der Antrag auf Arbeitserlaubnis gestellt, müssen für jeden weiteren mindestens je fünf türkische Bürger beschäftigt werden.

Das zweite Thema ist die Bedingung, dass das eingezahlte Kapital des Unternehmens mindestens 100.000 TL oder der Gesamtumsatz mindestens 800.000 TL oder das Exportvolumen mindestens 250.000 Dollar betragen muss. Wird für einen ausländischen Partner eine Arbeitserlaubnis beantragt, muss dessen Anteil mindestens 20 Prozent mit einem Minimum von 40.000 TL betragen.

Dabei werden diese Kriterien nicht auf die ausländischen Beschäftigten von Stiftungen und Vereinen, den Fluggesellschaften anderer Staaten, im Bildungssektor sowie auf ausländische Hausangestellte angewandt.

Darüber hinaus wird vorgeschrieben, dass die angegebene monatliche Entlohnung des Ausländers in Übereinstimmung mit Qualifikation und Position steht. Dementsprechend muss einem Ausländer auf Grundlage des zum Antragszeitpunkt gültigen Mindestlohns folgende Mindestvergütung geleistet werden:

a) für Führungskräfte, Piloten sowie bei Ingenieure mit Vorerlaubnis mindestens das 6,5-fache.
b) Für Abteilungs- oder Filialleiter, Ingenieure und Architekten mindestens das 4-fache.
c) Für Tätigkeiten, die besondere Fähigkeit und Erfahrung bedürfen, sowie für Lehrer das 3-fache.
d) Für Haushaltstätigkeiten und andere Berufe mindestens das 1,5-fache des Mindestlohns.

Sind Ihrer Meinung nach insbesondere die für kleine und mittlere Unternehmen eingeführten Einschränkungen gerechtfertigt?

Das Ziel des 2003 verabschiedeten Gesetzes zu ausländischen Direktinvestitionen (Nr. 4875) verfolgte vor allem das Ziel, ausländische und inländische Investoren gleich zu behandeln. Doch mit den gerade angesprochenen Kriterien wird anstatt „Gleichbehandlung“ und „Erleichterung“ werden für ausländische Unternehmen bei der Beschäftigung ausländischen Personals und Kapitalerhöhung ernstzunehmende Vorschriften eingeführt und für inländische Firmen nicht die gleichen Bedingungen gestellt.

Während beispielsweise für den inländischen Investor zwei Investoren mit einem Mindestkapital von 5.000 TL(mit der Verpflichtungserklärung, ein Viertel davon binnen drei Monaten einzuzahlen) eine GmbH gründen können, so erreicht der ausländische Investor diese Möglichkeit nur mit einem höheren Kapitaleinsatz und der Verpflichtung, fünf türkische Bürger zu beschäftigen, weil sonst dem ausländischen Partner die Arbeitserlaubnis nicht erteilt wird. Und schließlich erhalten beide gemäß türkischen Rechts den Status eines „türkischen Unternehmens“, was nicht angeht. Zudem kann an dieser Stelle auch das Gegenseitigkeitsprinzip aus dem internationalen Recht eingreifen.

Gibt es zu diesem Thema die Möglichkeit, den Rechtsweg zu beschreiten?

Artikel 17/2 des Gesetzes über Arbeitserlaubnisse für Ausländer sieht vor, dass Betroffene binnen dreißig Tagen gegen eine Entscheidung des Ministeriums Widerspruch einlegen können. Wird innerhalb von dreißig Tagen nach Eingang des Widerspruchs dieser von der zuständigen Stelle abgelehnt oder ergeht innerhalb von dreißig Tagen kein Bescheid, kann innerhalb von sechzig Tagen eine Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht eingereicht werden.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Bewertungskriterien dabei beanstandet werden. Bereits jetzt sind die ersten Ablehnungsbescheide eingegangen und es sieht so aus, als würde es sich insgesamt um keine kleine Anzahl handeln. Bei den Antragstellern, die Partner des antragstellenden Unternehmens sind, betreiben wir das Verfahren nach Erfüllung der Eigenkapitalsanforderung weiter. Im Hinblick auf die Anforderung, mindestens fünf türkische Bürger zu beschäftigen, warten wir jedoch, weil diese erst sechs Monate später erfüllt werden muss und Aussicht besteht, dass bis dahin eine nötige Anpassung bzw. Korrektur der Rechtsgrundlage erfolgt sein wird.

Sie verfügen als Anwältin über einige ausländische Klienten. Bitte stellen Sie uns Ihre Tätigkeiten vor. Wie beeinflusst das Thema Ihre Arbeit?

Mit meinem Partner Rechtsanwalt Ferudun Baha Selçuk leisten wir als Selçuk Rechtsanwaltsbüro ausschließlich Beratungs- und Rechtsanwaltsleistungen für ausländisches Unternehmensrecht. Insbesondere in den vergangenen zehn Jahren haben wir die Änderungen im Recht über ausländisches Kapital sehr intensiv verfolgt. Im In-und Ausland haben wir als Referenten Ausländer auf Investitionsmöglichkeiten in unserem Land hingewiesen. Als Anwälte müssen wir an Probleme lösungsorientiert herangehen. Ein Prozess ist immer die letzte Möglichkeit – grundsätzlich wird eine gütliche Einigung gesucht.